Erwin Piscator gilt als einer der einflussreichsten Theaterregisseure des 20. Jahrhunderts. Geboren am 17. Dezember 1893 in Ulm bei Wetzlar, erhielt er seine erste Ausbildung an einem traditionellen Theater in Deutschland, aber die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs radikalisierten seine Lebensauffassung. Er prangerte den vorherrschenden naturalistischen Modus innerhalb des deutschen Theaters an als „schlechte Fotografien, die wahllos von bürgerlichen Amateuren gemacht wurden“, und suchte nach neuen Formen und Inhalten, um die drängenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Zeit auszudrücken.
Gemeinsam mit dem Dramatiker Bertolt Brecht entwickelte Piscator im Weimarer Berlin das Epische Theater. Durch den Einsatz von Montagen, Vorträgen und multimedialen Elementen sprengte Piscators politischer Ansatz die emotionalen und ästhetischen Dimensionen des konventionellen Dramas des 19. Jahrhunderts. Als engagierter Antifaschist und Anti-Nazi floh er 1939 ins Exil nach New York. Seine innovativen Produktionsmethoden brachte Piscator mit nach Amerika, als er Leiter des Dramatic Workshop an der New School und des Studio Theaters in New York wurde.
In den späten 1920er Jahren hatte sich Piscator erfolgreich als führender Regisseur von Theaterstücken etabliert, die oft Kontroversen und heftige Kritik hervorriefen. Nach dem finanziellen Zusammenbruch von Piscators eigenem Theater im Jahr 1929 nahm er 1931 gerne eine Einladung der sowjetischen Filmgesellschaft Meshrabpom in Moskau an, einen Film zu produzieren. Der Aufstand der Fischer von St. Barbara, basierend auf einer Novelle der deutsch-jüdischen Schriftstellerin Anna Seghers, war Piscators erstes Filmprojekt. Stilistisch und inhaltlich stand der Film in der Tradition von Serge Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin, doch als der Film 1934 fertiggestellt wurde, hatte er sein Ziel, die deutschen Arbeiter und Bauern über die Gefahren des aufkommenden Faschismus aufzuklären, verfehlt.
Piscators nächstes großes Projekt war die Gründung eines antifaschistischen deutschsprachigen Arbeitertheaters, das alle aus Nazi-Deutschland geflohenen deutschen Theaterschaffenden versammeln sollte. Es sollte in Engels, der Hauptstadt der autonomen Republik der Wolgadeutschen, angesiedelt werden. Die Idee wurde nie verwirklicht, aber Piscator wurde zum Präsidenten der Internationalen Revolutionären Theatervereinigung gewählt. In dieser Funktion wurde Piscator 1936 nach Paris eingeladen, um an der Internationalen Theaterkonferenz in Paris teilzunehmen.
Auf dem Weg dorthin reiste er nach Salzburg, um sich mit Max Reinhardt in Österreich zu treffen. Dort lernte er die Tänzerin und Choreographin Maria Ley kennen. Piscator und Ley verliebten sich, heirateten in Neuilly-sur-Seine und ließen sich anschließend in Paris nieder. Gewarnt, nicht nach Moskau zurückzukehren, wo die berüchtigten „Schauprozesse“ gegen führende Intellektuelle und Künstler begonnen hatten, begann Piscator mit der Vorbereitung einer Theaterinszenierung von Leo Tolstois Krieg und Frieden, die er in den USA zu realisieren hoffte.
Ende 1938 verließen Piscator und Maria Ley Frankreich und kamen am 1. Januar 1939 in New York an. Nach mehrmonatigen Verhandlungen scheiterten die Pläne für eine Produktion von Krieg und Frieden. In der Zwischenzeit war Piscators Besuchervisum abgelaufen und er wandte sich an Alvin Johnson, den Dekan der New School for Social Research, um eine Anstellung zu finden. Als Referenzen brachte er Empfehlungsschreiben von Max Reinhardt, Thomas Mann und anderen mit. Piscator gründete den Dramatic Workshop und das Studio Theater, Schule und Theater in einem, unter dem Dach der New School. Die Schule entwickelte sich nach Piscators Prinzip des „learning by doing“. Die angehenden Regisseure und Schauspieler mussten ihre eigenen Kostüme und Bühnenbilder entwerfen und den Inhalt eines jeden Stückes analysieren. Prominente Schauspielerinnen und Schauspieler wie Tony Curtis, Marlon Brando, Ben Gazzara, Judith Malina, Tony Randall und Elaine Stritch waren alle Absolventen von Piscators Schule.
Angehende Dramatiker hatten die Möglichkeit, ihre in Arbeit befindlichen Werke produzieren zu lassen, darunter Stücke von Tennessee Williams und Arthur Miller. Zum Lehrkörper gehörte die Crème de la Crème der europäischen Theaterwelt, etwa der Schriftsteller Carl Zuckmayer, der Komponist Hanns Eisler und die Schauspieler Herbert Berghof und Fritz Kortner. Piscator machte das amerikanische Publikum mit Stücken bekannt, die noch nie zuvor in den USA zu sehen gewesen waren, darunter Lessings Nathan der Weise.
Finanzielle Schwierigkeiten und ein zunehmend feindseliges politisches Klima, ausgelöst durch die antikommunistische Hysterie von Joseph McCarthy, wirkten sich jedoch stark lähmend auf Piscators Kreativität aus. Als er eine Vorladung vor das House Un-American Activities Committee erhielt, entschied sich Piscator, Amerika zu verlassen.
Anfang Oktober 1951 kehrte Erwin Piscator nach Deutschland zurück. Die nächsten elf Jahre verbrachte er als Gastregisseur in Deutschland und Europa, bis ihn schließlich 1962 die Freie Volksbühne Berlin zum Intendanten ernannte. Die Spielzeit 1963 eröffnete Piscator mit dem provokanten Stück Der Stellvertreter von Rolf Hochhuth, das die katholische Kirche wegen ihres Schweigens während des Holocausts anprangert. Dem spektakulären Erfolg des Stücks folgten 1964 Heinar Kipphardts In der Sache J. Robert Oppenheimer und 1965 Die Ermittlung von Peter Weiss, die Piscators Ruf nach seinem ursprünglichen Erfolg in den 1920er Jahren wiederherstellten.
Während der Proben zu Der Aufstand der Offiziere, einem Stück über das versuchte Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 durch deutsche Offiziere, erlitt Piscator ein Nierenversagen und wurde in ein Krankenhaus gebracht. Er erlebte die Premiere des Stücks noch, starb aber kurz nach der Premiere am 30. März 1966 in einem Krankenhaus in Starnberg.